Nie zuvor wurde ein Konzern gerichtlich zu drastischen Klimaschutzmaßnahmen gezwungen. Möglich wurde dies durch die couragierte Klage von sieben Umwelt-Organisationen und 17.379 BürgerInnen gegen den britisch-niederländischen Konzern Shell in den Niederlanden. Anmerkung: Die Niederlande, insbesondere die Bewohner des Wattenmeer Gebietes, sind vom Klimawandel durch die Bedrohung des Meeresspiegelanstieges besonders betroffen.
Das Bezirksgericht Den Haag hat Royal Dutch Shell (RDS) angewiesen, die CO2-Emissionen der Shell-Gruppe bis zum Jahr 2030 im Vergleich zu 2019 durch die Unternehmenspolitik der Shell-Gruppe, um netto 45% gegenüber 2019 zu reduzieren.
Kurz attestiert: RDS ist ein Mineralölkonzern, der sich nun vollständig umstrukturieren muss. Die Carbon Bubble platzt langsam – aber sie platzt! Die Aufgabe von Ratingagenturen ist es, -das Urteil in ihr Rating einfließen zu lassen – und Investoren auf die Gefahr eines »stranded asset« hinzuweisen.
Interessant ist die beklagte Rechtsgrundlage: Die Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates über das außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, Kurzbezeichnung ROM-II-Verordnung, hier Artikel 7 [Umweltschädigung]. Das Gericht attestiert in seinem Urteil »Die Parteien gingen zu Recht davon aus, dass der Klimawandel, ob gefährlich oder nicht, aufgrund der CO2-Emissionen einen Umweltschaden im Sinne von Artikel 7 Rom II darstellen.«
RDS wird vom Gericht auch verantwortlich gemacht für die Emissionen der Zulieferunternehmen und Endabnehmer – die der Shell-Konzern aufgrund seiner „corporate policy“ sowie seiner Marktmacht beherrsche!
So sieht das Gericht den Einfluss von RDS nicht nur in Scope I und II sondern auch bei den Scope III Emissionen, weil: »Durch das von der Shell-Gruppe angebotene Energiepaket steuert und beeinflusst RDS die Scope-3-Emissionen der Endverbraucher der von der Shell-Gruppe hergestellten und verkauften Produkte. Was RDS auch in Bezug auf seine Kontrolle und Einflussnahme auf die Scope-3-Emissionen vorbringt, betrifft die Wirksamkeit seiner Reduktionsverpflichtungen.« – weiterhin »Es ist unstreitig, dass der Shell-Konzern durch seine Einkaufspolitik Kontrolle und Einfluss auf die Emissionen seiner Lieferanten ausübt. Dies sind die Scope-2-Emissionen des gesamten Shell-Konzerns. Dies bedeutet, dass RDS durch die Unternehmenspolitik der Shell-Gruppe in der Lage ist, diese Emissionen zu kontrollieren und zu beeinflussen.« (s. Punkt 4.4.25. der Urteilsverkündung).
Wegweisendes und bahnbrechendes Urteil:
»RDS beauftragt RDS, sowohl direkt als auch über die Gesellschaften und juristischen Personen, die sie üblicherweise in ihrer konsolidierten Jahresabschluss aufnimmt und mit denen sie gemeinsam den Shell-Konzern bildet, das aggregierte jährliche Volumen aller CO2-Emissionen in die Atmosphäre (Scope 1, 2 und 3) aufgrund der Geschäftstätigkeit und des Verkaufs energietragender Produkte des Shell-Konzerns so zu begrenzen oder begrenzen zu lassen, dass dieses Volumen um mindestens netto 45% bis Ende 2030 im Vergleich zu 2019 sinkt.«
Somit muss der Shell-Konzern seinen Beitrag im Kampf gegen den gefährlichen Klimawandel leisten. Die Verpflichtung gilt nicht nur für das eigene Unternehmen, sondern auch für Zulieferer und Endabnehmer. Das Urteil verbindet auch unternehmerische Umweltstandards direkt mit den Menschenrechten. So wie es das deutsche Lieferkettengesetz tut, müssen Menschenrechte und Umweltschutz zukünftig gemeinsam betrachtet und in die Verantwortung genommen werden.
Gerichtsquellen:
Bezirksgericht Den Haag, 26.05.2021, Az. C/09/571932 und HA ZA 19-379 (englische Version) (Link) https://uitspraken.rechtspraak.nl/#!/details?id=ECLI:NL:RBDHA:2021:5339